Müssen Kinder die Schreibschrift lernen? – Modellprojekt zum einphasigen Schrifterwerb an Bayerns Schulen gestartet

Mit Beginn des aktuellen Schuljahres hat das bayerische Kultusministerium das Modellprojekt FlowBY gestartet. An 43 bayerischen Grundschulen erproben Kinder den einphasigen Schrifterwerb. Das bedeutet: Kinder lernen keine Formen der verbundenen Schreibschrift und sollen direkt von der Druckschrift zu einer flüssigen, individuellen Handschrift übergehen.

Bisher lernen bayerische Erstklässler zunächst die Druckschrift, bevor gegen Ende der ersten oder zu Beginn der zweiten Klasse eine verbundene Schreibschrift-Form eingeführt wird – meist die Vereinfachte Ausgangsschrift (VA), seltener die Schulausgangsschrift (SAS). Am Ende der Grundschulzeit sollen die Kinder aus beiden Varianten ihre individuelle Handschrift formen. Die Praxis zeigt jedoch, dass für viele Kinder mit schreibmotorischen Schwierigkeiten beim Schreibenlernen nicht nur Aspekte wie die Buchstabenform oder der Abstand zwischen den Buchstaben problematisch sind, sondern auch das Bilden von Buchstabenverbindungen in der verbundenen Schrift. Studien der Wissenschaftlerin Eva Odersky zeigen, dass das Schreiben in verbundener Schreibschrift langsamer ist: Mit verbundener Schrift brauchen Kinder demnach für einen Fünf-Wörter-Satz durchschnittlich 22 Sekunden. Mit Druckschrift waren es zwei, mit teilverbundener Schrift vier Sekunden weniger (Odersky et al., 2024). Auf längere Texte hochgerechnet ergibt das einen entscheidenden Unterschied.

 

Im Modellprojekt FlowBy sollen die Kinder direkt von der Druckschrift zu einer flüssigen, individuellen Handschrift wechseln, ohne zuvor eine verbundene Schreibschrift zu erlernen. Es wird untersucht, ob der Verzicht auf die verbundene Schreibschrift vorteilhaft für Schreibtempo, Leserlichkeit und Flüssigkeit ist. Dazu werden in den Jahrgangsstufen 2, 3 und 4 regelmäßig Schreibproben erhoben. Bewertet werden sollen Kriterien wie Formklarheit, Leserlichkeit, Geschwindigkeit und Schreibfluss. Die wissenschaftliche Begleitung übernimmt der Lehrstuhl für Allgemeine Grundschulpädagogik und -didaktik der Universität Regensburg.

 

Auch für uns am Schreibmotorik Institut ist diese Forschung hoch relevant. Die Frage nach der „richtigen“ Ausgangsschrift stellen uns Lehrkräfte regelmäßig. Welche Ausgangsschrift oder Schreibschrift die beste Wahl ist, welche Vor- und Nachteile das Beibehalten einer Schreibschrift mit sich bringt und was die Wissenschaft dazu sagt – all das sind berechtigte Fragen, die für das Bildungssystem und die Schreibdidaktik von großer Bedeutung sind. 

 

Literatur

Odersky, E., Speck-Hamdan, A., & Stark, M. (2024). Automatisierung im Lesen und Schreiben: Studienergebnisse zu den hierarchieniedrigen schriftsprachlichen Kompetenzen im 4. Schuljahr. Lernen und Lernstörungen, 13(2), 75–88. https://doi.org/10.1024/2235-0977/a000437

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