Randspalte-Links

Dr. Simone C. Ehmig, Copyright: Stiftung LesenDr. Simone C. Ehmig im Dialog mit dem Schreibmotorik Institut Juli 2018

Lese- und Schreibförderung: Ungewöhnliche Wege beschreiten, um Motivation und Freude zu wecken

Lese- und Schreibkompetenz sind Grundvoraussetzungen für den Schulerfolg. Spaß ist dabei der wichtigste Motor. Die Stiftung Lesen erreicht über ihr Netzwerk viele Kinder, Jugendliche und ihre Familien mit ihren Angeboten. Inwieweit können die Lese- und Schreibförderung voneinander profitieren? Ein Interview mit Dr. Simone C. Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen.

Die Stiftung Lesen versteht sich als Anwalt für Lese- und Medienkompetenz in Deutschland. Mittlerweile können Sie auf beachtliche Erfolge in der Leseförderung zurückblicken. Auf welche sind Sie besonders stolz?

Die Stiftung Lesen erreicht über ein stetig wachsendes Netzwerk von gesellschaftlichen und politischen Akteuren Kinder, Jugendliche und ihre Familien nicht nur über die klassischen Bildungseinrichtungen, sondern auch dort, wo man lesefördernde Angebote nicht vermutet und wo Schnittstellen zu ihren Lebenswelten bestehen – bei Kinderärzten, in konsum- und freizeitbezogenen Umgebungen, über digitale Kanäle usw. Über bundesweite Programme wie „Lesestart – Drei Meilensteine für Lesen“, Kampagnen wie den Bundesweiten Vorlesetag oder Netzwerke wie den „Lehrerclub“ und das „Netzwerk Vorlesen“ schaffen wir Aufmerksamkeit für eine der wichtigsten bildungspolitisch relevanten Aufgaben – wir sensibilisieren und aktivieren bundesweit eine Bewegung für das Lesen, die von Politikern, Unternehmen, Verbänden bis hin zu ehrenamtlich Engagierten alle ins Boot holt. Dass es gelingt, darüber das Netz immer dichter zu knüpfen und Chancen für das Lesen für jedes Kind und jeden Jugendlichen zu schaffen, freut uns sehr.

Inwieweit können die Lese- und Schreibförderung voneinander profitieren?

Lesen und Schreiben sind zwar eng miteinander verknüpft, jedoch muss die Förderung des Schreibens eigene Hürden überwinden, für die sie eigene Strategien benötigt. Aus der Leseförderung lernen kann die Schreibförderung aber, dass Kompetenz und Praxis ohne Motivation und Freude nicht zu denken sind. Das bedeutet auch, ungewöhnliche Wege zu beschreiten, die zeigen: Schreiben ist nicht nur im Kontext von Lernen und Schule wichtig, sondern hat seinen Platz im Leben – überall und zu jeder Zeit. Wichtig ist, die „Kultur“-Techniken Lesen und Schreiben von ihrem Sockel zu holen, auf dem sie in der öffentlichen Diskussion bisweilen stehen. Lesen ist mehr als der genussvolle Konsum guter Literatur und Schreiben bedeutet im Alltag etwas anderes als Gedichte und Romane zu verfassen oder kalligraphische Kunststücke zu vollführen.

Wie wird sich im Zuge der Digitalisierung die Bedeutung der Handschrift verändern?

Versteht man Schreiben im Sinne des Verfassens von Texten und als den Weg, Texte bzw. sprachliche Zeichen auf eine Oberfläche zu bringen, werden wir vermutlich aktuell so viel schreiben wie noch nie zuvor. Dabei bleibt die Frage von Sprach- und Textqualität, – die seit der Antike gestellt wird, wenn es um technische Neuerungen und Generationswandel geht – unberührt. Digitale Möglichkeiten, Sprache zu notieren, ggf. auch zu diktieren, macht Handschrift im Alltag vielfach obsolet – etwa den Einkaufszettel oder die Notiz an den Partner, die man nicht auf dem Küchentisch hinterlässt, sondern per Messenger schickt. In unserem Bildungssystem wird das Schreiben mit der Hand perspektivisch nicht verschwinden. Es besonders für den individuellen Gebrauch und in die Lebenswelten hinein zu fördern, bedeutet, jenseits aller Nostalgie den Mehrwert zu vermitteln, den Handschreiben besitzt, und Erfahrungen zu ermöglichen, die Motivation und (Hand-)Schreibfreude wecken.

Welche Empfehlungen können Sie auf der Grundlage Ihrer Erfahrungen aussprechen, um Menschen, die über begrenzte Schreibfähigkeiten verfügen, für das (Hand-)Schreiben zu begeistern?

Menschen müssen ein Gefühl dafür entwickeln, warum sie etwas tun sollen, das in manchen Kontexten faktisch nicht mehr notwendig ist und somit obsolet scheint. Ansätze, die dies vermitteln, müssen im Kontext der Lebenswelten verankert sein, digitale Optionen nicht bekämpfen, sondern einbeziehen. Handschreiben darf kein Gegenentwurf sein.

 

Kurzvita:

Dr. Simone C. Ehmig leitet das Institut für Lese- und Medienforschung der Stiftung Lesen. Das Institut ist mit empirischen Untersuchungen, Gutachten und Fachveröffentlichungen, Vorträgen und Expertise zu Themen der Lesesozialisation und zur Situation des Lesen öffentlich präsent. Die Kommunikationswissenschaftlerin hat zuvor in Mainz und Lugano Forschung zu Themen der politischen Kommunikation, der Risiko- und Gesundheitskommunikation durchgeführt. Sie ist Lehrbeauftragte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Fach Publizistikwissenschaft.

Unteres Bild
Randspalte-Rechts