Waltraud Fürholzer im Dialog mit dem Schreibmotorik Institut Februar 2017
„Die Finger müssen sich leicht bewegen können“ – Erlernen einer günstigen Stifthaltung
Kinder bringen oft ganz unterschiedliche Stifthaltungen in die 1. Klasse mit. Dabei ist es zu diesen Zeitpunkt schon fast zu spät, um auf eine günstige Stifthaltung zu achten. Neben anderen Faktoren bildet diese die Basis für eine gute Schreibmotorik, da wir beim Schreiben Finger, Handgelenk und Arm koordinieren. Zu viel Griffkraft kann sich beispielsweise auf alle weiteren Bewegungen auswirken. Und schlechte Angewohnheiten sind schwer loszuwerden. Ein Interview mit Ergo- und Schreibtherapeutin Waltraud Fürholzer über eine günstige Stifthaltung, bewegliche Finger und Freude am Experimentieren.
Warum ist eine gute Stifthaltung beim Schreiben so wichtig?
Eine gute Stifthaltung ist eine sehr gute Voraussetzung, um gut schreiben zu lernen. Natürlich ist es damit allein nicht getan. Beim Schreiben hängen viele Faktoren wechselseitig zusammen. Die Körperhaltung spielt ebenfalls eine große Rolle. Genauso wie die Beweglichkeit der Finger. Eine gute Stifthaltung sorgt dafür, dass sich die Finger beim Schreiben leicht bewegen können. Wenn diese Beweglichkeit durch eine schlechte Stifthaltung eingeschränkt ist, fällt das Schreiben schwerer und es kommt zu Verkrampfungen, stockenden Bewegungen und schlampiger Schrift.
Was zeichnet eine gute Stifthaltung aus?
Mittlerweile sind 34 mögliche Stifthaltungen identifiziert worden. Als günstigste gilt in der Regel der Dreipunktgriff, bei dem der Stift zwischen Daumen und Zeigefinger festgehalten wird und locker auf dem Mittelfinger aufliegt. Wichtig ist, dass Daumen und Zeigefinger eine Achse bilden. Bei Kindern sollte man beobachten, wie das Kind die Finger aufsetzt, welche Finger es benutzt, mit wie viel Kraft die Finger auf dem Stift aufliegen und ob sich die Finger noch bewegen können. Beim Dreipunktgriff sind die hinteren beiden Finger eingebeugt, sie werden gar nicht gebraucht. Um diesen günstigen Griff zu erreichen, kann man dem Kind beispielsweise kleine Kügelchen aus Wolle in diese beiden Finger geben, damit diese beschäftigt sind und sich die anderen drei auf den Griff konzentrieren können. Ein Vierpunktgriff kann durchaus auch günstig sein, wenn das Kind die Finger genügend bewegen kann.
Wann sollte man beginnen, auf eine gute Stifthaltung zu achten?
Eine ungünstige Stifthaltung ist sehr schwer zu korrigieren. Deshalb sollte man bereits im Kindergarten daran arbeiten. Auffällig ist, dass Jungen mehr Probleme haben als Mädchen. Ich fände es schön, wenn man Themen speziell für Jungen wählt, z.B. Raumschiffe oder Ritterburgen. Kinder sollen Freude daran haben, mit Papier und Stift zu experimentieren. Spätestens im Vorschulalter wird verstärkt auf die Stifthaltung geachtet. Davor dürfen die Kinder den Stift nehmen, wie sie möchten. Die Erzieherin kann den Kindern immer wieder zeigen, wie man den Stift hält. Es wird aber nicht empfohlen, dem Kind zu sagen: „Mach es doch bitte anders“ oder „So ist das richtig“. Darauf wird es eher störrisch reagieren.
Können Sie ein Beispiel aus Ihrer therapeutischen Arbeit nennen?
Ich arbeite im Kinderzentrum München im Bereich der Diagnostik. Neulich war ein Kind aus der 5. Klasse bei mir im Handlabor, das Schmerzen beim Schreiben hat. Der Junge hat Probleme mit der Fingerbewegung. Er hat einen Dreipunktgriff, aber keinen besonders günstigen. Der Daumen verrutscht immer wieder zum Zeigefinger und die Finger drücken zu stark auf den Stift. Wir haben gemeinsam mit der Mutter verschiedene Dinge ausprobiert: Was passiert auf dem Papier, wenn man beim Festhalten des Stifts die Finger lang macht, was wenn man die Finger kurz macht? Was passiert, wenn man ganz fest aufdrückt, wenn man den Stift schwer macht? Den Stift in die Hand nehmen lassen. Wie viel wiegt er? Er muss gar nicht so fest gehalten werden, weil er ganz leicht ist. Was passiert, wenn man kaum Kraft aufwendet? Das Kind war sehr motiviert. Es wollte schließlich die Schmerzen loswerden. Wir haben nur sieben Minuten geübt und schon war klar, dass es selbst etwas verändern kann.
Kurzvita:
Waltraud Fürholzer ist Ergotherapeutin und Schreibtherapeutin nach Prof. Mai. Sie hat jahrelang als Therapeutin bei Schreibstörungen in der neurologischen Rehabilitation gearbeitet. Seit 2016 ist sie am Kinderzentrum München im Handlabor als Therapeutin bei kindlichen Problemen in der Handmotorik tätig. Sie betreut ergotherapeutische Facharbeiten und bietet Seminare zum Thema „Schreibtraining“ an. Außerdem hat sie mehrere Artikel in Fachzeitschriften zum Thema „Schreibdiagnostik und Therapie nach Prof. Mai und Dr. Marquardt“ veröffentlicht.