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Dr.-Ing. Marianela Diaz Meyer12. August 2021

Linkshänder können genauso schnell und leserlich schreiben wie Rechtshänder, wenn …

Am 13. August ist der Welttag der Linkshänder. Zehn bis 15 Prozent der Menschen betrifft das Phänomen. Worauf Eltern und Lehrkräfte im Umgang mit linkshändigen Kindern achten sollten, erklärt Dr. Marianela Diaz Meyer, Geschäftsführerin des gemeinnützigen Schreibmotorik Instituts.

Früher wurden linkshändige Kinder häufig „umgeschult“ – sie mussten lernen, mit rechts zu schreiben. Warum macht man das heute nicht mehr?

Diaz Meyer: Nicht wenige Linkshänder leiden unter den Folgen einer früheren Umschulung. Ein linkshändiges Kind auf die rechte Hand umzuerziehen, kann große Probleme hervorrufen. Sie können das ganze Leben negativ beeinflussen.

Ist Linkshändigkeit also gar kein Problem, wie man früher dachte?

Diaz Meyer: Wir wissen heute: Die Hirnareale sind anders gepolt. Bei Linkshändern ist die rechte, kreative Gehirnhälfte ausgeprägter und deshalb dominanter. Vermutlich deshalb lassen sich Linkshänder öfter in kreativen Berufen finden. Wichtig ist auch: Linkshändigkeit ist keine Benachteiligung. Sie ist genauso gut wie Rechtshändigkeit – das kann man Kindern gar nicht früh und oft genug vermitteln. Bezüglich der motorischen Leistungen gibt es keine offensichtlichen Unterschiede zwischen Links- und Rechtshändern. Linkshänder können genauso schnell, automatisiert und leserlich schreiben wie rechtshändige Kinder – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Trotzdem heißt es, linkshändige Kinder haben oft motorische Schwierigkeiten ...

Diaz Meyer: Linkshänder haben es meistens nicht leicht. Sie wachsen in einer auf Rechtshänder ausgerichteten Welt auf. Zum Beispiel reicht man sich beim Begrüßungsritual die rechte Hand und Linkshänder müssen sich anpassen. Probleme gibt es vor allem dann, wenn Linkshänder versuchen, Rechtshänder zu kopieren, den Stift also spiegelhaft zu Rechtshändern zu halten – was leicht passieren kann, wenn Eltern andersherum gepolt sind.

Welche Folgen kann es haben, wenn ein linkshändiges Kind sich motorisch an rechtshändigen Vorbildern orientiert?

Diaz Meyer: Das führt bei den Kindern häufig zu einem ungünstigen gebeugten Handgelenk, wir sprechen dabei von einer Hakenhaltung. Daraus folgt dann oft ein erhöhter Druck auf den Stift, also Verkrampfungen der Finger. Auch eine ungünstige Sitzhaltung kann vorkommen. Wir haben eine spielerische Übung entwickelt und frei zum Nachmachen online gestellt, die „Glückliche Gans“, mit der sich entgegenwirken lässt. Das Kind malt sich dafür ein Auge auf das erste Gelenk des Zeigefingers der Schreibhand. Die Hand nimmt beim Halten eines Stifts die Form einer Gans ein. Zeigt der Schnabel der Gans nach unten (stark gebeugtes Handgelenk wie bei der Hakenhaltung), sieht man eine traurige Gans. Wenn die Gans glücklich schaut (mit dem Schnabel nach oben), ist die Handgelenkhaltung für das Schreiben optimal. Die ausführliche Beschreibung zeigt das Video „Glückliche Gans“.

Wie sehen gute Rahmenbedingungen aus, die Sie eben angesprochen haben?

Diaz Meyer: Es ist wichtig zu beachten, dass Linkshänder „linksgerecht“ arbeiten. Das bedeutet zum Beispiel, dass das Licht von rechts oder von vorne kommen sollte. So, dass keine Schatten entstehen, die beim Schrei- ben stören. Grundsätzlich gilt: Wir leben zwar in einer Welt, die vor allem für Rechtshänder gemacht ist. Aber es gibt mittlerweile viele Werkzeuge, auch für die Schule, die für Linkshänder konzipiert wurden: von Scheren bis zum Füller. Die zu nutzen, erleichtert den Alltag natürlich sehr.

Was raten Sie Eltern, die möglicherweise den Verdacht haben, ihr Kind könnte ein Linkshänder sein?

Diaz Meyer: Kinder beginnen oft schon im Greifalter, alles mit ihrer geschickteren oder bevorzugten Hand anzufassen. Mein Rat an Eltern ist, dass sie keine Angst haben sollen, wenn ihr Kind mit der linken Hand greift. Es ist wichtig, dass Kinder von Anfang an ihre dominante Hand uneingeschränkt benutzen können und dürfen. Die Händigkeit ist von der Natur vorgegeben. Welche vorliegt, ist bei kleinen Kindern nicht immer ganz eindeutig. Dann ist es sinnvoll, dem Kind die Chance zu geben, sich frei zu entwickeln – die Tasse, das Besteck oder die Stifte sollten nicht immer von den Eltern rechts platziert werden. Sie sollten die Gegenstände lieber in der Mitte platzieren, wenn die Händigkeit noch nicht geklärt ist.

Wann ist die Händigkeit bei Kindern denn ausgeprägt?

Diaz Meyer: In den meisten Fällen ist im Alter von vier bis fünf Jahren klar, welche Hand die bevorzugte ist. Linkshänder entwickeln ihre Händigkeit zumeist später, vermutlich unter anderem wegen ihrer Anpassung an das rechtshändige Umfeld. Allerdings gibt es nicht nur Schwarz und Weiß: Es gibt auch Menschen, bei denen die Händigkeit nicht eindeutig oder nur schwach ausgeprägt ist.

Und was empfehlen Sie Lehrkräften, die ja die Kinder beim Schreiben täglich sehen?

Diaz Meyer: Lehrerinnen und Lehrer sollten darauf achten, dass links neben einem Linkshänder kein Rechtshänder sitzt – sonst stoßen beim Schreiben die Arme gegeneinander. Auch gilt: Linkshänder profitieren, wenn die Aufgabenbeschreibungen in ihrem Blickfeld rechts stehen, so dass sie nicht von der schreibenden Hand verdeckt sind. Bei Übungsblättern mit Musterbuchstaben stehen diese meist nur links, am Beginn der Zeile. Das linkshändige Kind verdeckt die zu übenden Buchstaben und muss sich verkrümmen, um diese nachschreiben zu können.

Oder: Linkshändige Schülerinnen und Schüler haben mitunter die Schwierigkeit, dass sie beim Schreiben mit dem Füller die Tinte mit der Hand verwischen. Doch das ist leicht lösbar. Das Schreibheft wird zwischen 30° bis 40° nach rechts geneigt. Die rechte Ecke ist im Vergleich zur linken nach unten verschoben. Dann kommt die linke Hand nicht mit der Tinte in Berührung. Wir bieten Seminare für Lehrkräfte an, in denen sie auf sol- che Hindernisse und auf Lösungen hingewiesen werden.

Und wenn es bei einem Kind gravierende Probleme mit der Motorik gibt?

Diaz Meyer: Dann ist eine Kinderärztin oder ein Kinderarzt gefordert, um eine Diagnose zu stellen und eine Therapie zu empfehlen, die dann in der Regel bei einer Ergotherapeutin oder einem Ergotherapeuten stattfindet. Inwieweit ein wechselnder Handgebrauch tatsächlich auffällig ist und eventuell einer Intervention bedarf, muss von den Spezialistinnen oder Spezialisten gut geprüft werden.

 

Das Interview mit Dr. Marianela Diaz Meyer erschien auch auf News4teachers.de.

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